Fachgespräch „Wir müssen reden – zuhören und verändern. Für eine Belebung des Petitionsrechts“

E-Petitionen boomen seit Jahren. Jede Woche werden hunderte Petitionen veröffentlicht, einige davon kommen auf Hunderttausende von Unterstützer*innen – auf privaten Plattformen. Die Nutzung des Petitionsrechts beim Deutschen Bundestag hingegen hat sich zwiespältig entwickelt: Die Internetseite des Petitionsausschusses ist das mit weitem Abstand erfolgreichste Internetangebot des Bundestags, immer mehr Menschen zeichnen hier Petitionen mit. Gleichzeitig werden jedoch in den letzten Jahren weniger Petitionen beim Bundestag eingereicht als zuvor. Das zeigt: die Bürgerinnen und Bürger möchten mitwirken – doch das Vertrauen darauf, dass Parlament und Regierende die richtigen Adressaten für ihre Anliegen und Vorschläge sind, schwindet. Manche ist das vielleicht auch zu kompliziert, die Nutzung anderer Plattformen bequemer.

Mit dieser Entwicklung haben meine grünen Amtskolleg*innen Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Corinna Rüffer, Beate Müller-Gemmecke und ich uns am 23. Januar 2017 in einem Fachgespräch unserer Fraktion beschäftigt. Gemeinsam mit Expert*innen aus Wissenschaft und Verwaltung, mit Netzaktivistinnen und interessierten Bürger*innen diskutierten wir, welche Rolle der Petitionsausschuss in dem Spannungsfeld von Politikverdrossenheit und Beteiligungswunsch spielt. Dabei fragten wir uns, wie über die Weiterentwicklung und Stärkung des Petitionsrechts ein attraktives und leicht zugängliches Angebot zur Mitwirkung am demokratischen Prozess gestaltet werden kann.

Dass wir mehr Bürgerbeteiligung brauchen – und zwar nicht nur eine simulierte Partizipation, wie wir sie beispielsweise beim Bundesverkehrswegeplan erlebt haben – steht für mich außer Frage. Und das Petitionsrecht kann hierbei als ein wichtiges Instrument zur Revitalisierung der repräsentativen Demokratie dienen, wie auch Konstantin von Notz in unserem Fachgespräch betonte. Allerdings ist die Rolle des Petitionswesens in Zeiten erstarkender Rechtspopulisten in Deutschland und weltweit zugegebenermaßen ein zweischneidiges Schwert. Die Netzaktivistin und Publizistin Katharina Nocun konnte bei unserer Veranstaltung eindrucksvoll belegen, wie weit Rechtspopulisten bereits heute mittels gut organisierter und intransparent arbeitender rechter Petitions-und Kampagnenplattformen versuchen, Misstrauen gegen die Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie zu säen. Und auch wir Mitglieder des Petitionsausschusses sind mehr und mehr mit Petitionen konfrontiert, die rechte bis rechtsextreme Inhalte transportieren.

Die Forderungen der Populisten nach mehr Partizipation sind aber nicht frei von Absurdität. Denn, das betonte Prof. Dr. Michael Opielka von der Ernst-Abbe-Hochschule Jena bei unserem Gespräch, das eigentliche Ziel der Populisten sind autoritäre Regierungsformen, die nur ihrer eigenen – in der Regel nationalistischen, zumeist rassistischen und stets patriarchalen – Denkweise ein Partizipationsrecht zugestehen wollen. Um dem zu begegnen, erscheint Opielka ein inklusiver Ansatz sinnvoll. Dabei gehe es darum, die Menschen zu nehmen, wie sie sind, ihre Menschenrechte zu garantieren und sie zu beteiligen. „Wenn sie dennoch Populisten auf den Leim gehen, dann sollten wir mit ihnen streiten und Menschenverachtung sanktionieren, nicht tabuisieren. Partizipation erfordert Respekt!“ Ich finde: Wir sollten das Petitionswesen nicht den Rechtspopulisten als Instrument überlassen, sondern es im Gegenteil ausbauen, um antidemokratischen, populistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft entschlossen entgegenzutreten.

Wie also kann das Petitionsrecht konkret vitalisiert werden? Das war die Fragestellung im zweiten Abschnitt unseres Fachgesprächs. Matthias Trénel, Geschäftsführer von Zebralog, einer Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung, befand dazu, dass der Petitionsausschuss sich nicht mehr nur als „Seismograph“ von Problemen verstehen dürfe, sondern in seiner politischen Funktion als „Verstärker“ von Anliegen der Bürger*innen. Konkret schlug Trénel die Installation eines I-Frame des Petitionsausschusses als „Beteiligungssatelliten“ vor. Unter der Voraussetzung der Datensicherheit und Barrierefreiheit sollte mit Hilfe dieses „Beteiligungssatelliten“ ermöglicht werden, auf beliebigen Webseiten für seine Petition zu werben und Unterschriften zu sammeln. Von Seiten des Bundestages  könnten Petent*innen über dieses I-Frame auch Mitteilungen über den Stand und Verlauf ihrer Petitionsverfahren erhalten.

Weitere sehr konkrete Vorschläge, das Petitionsverfahren durchlässiger und transparenter zu gestalten, wurden von Ulrich Riehm vom Institut für Technologiefolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) zur Diskussion gestellt. Er schlug u.a. vor, grundsätzlich alle Petitionen als „öffentliche Petitionen“ zu behandeln, sofern dem keine datenschutzrechtlichen Bedenken oder Einwände des Petenten entgegenstünden. Gleichzeitig warb er u.a. für einen Beteiligungs- und Beschwerdenavigator, der zu den Petitionen ins Netz gestellt wird, sowie für stärkere Maßnahmen politischer Bildung und öffentlicher Information. Ein wichtiger Ansatz für Verbesserungen wäre es darüber hinaus, Mechanismen einzuführen, die das Follow-Up entschiedener Petitionen in der konkreten Umsetzung für die Menschen nachvollziehbarer machen.

Einig waren sich alle Beteiligten darüber, dass es sinnvoll ist, auch die bereits vorhandenen starken Rechte und Möglichkeiten des Petitionsrechtes, wie Akteneinsichtsrechte, Vorladungsrechte, Debattenrechte etc. besser und intensiver als bisher zu nutzen. Das Fachgespräch hat deutlich gezeigt: Über zehn Jahre nach der letzten großen Petitionsreform durch Rot-Grün – die geradezu einen Quantensprung für das Petitionsrecht insgesamt darstellte – ist jetzt genau die richtige Zeit für den nächsten großen Sprung. Mit unserer öffentlichen Diskussion wurde ein erster Anlauf gemacht. Und dabei kamen durchaus konkret zukunftsweisende Ideen für eine Belebung des Petitionsrechts heraus. Ich freue mich darauf, diesen Reformprozess weiter zu begleiten und dadurch unsere Demokratie partizipativer, durchlässiger, transparenter und widerstandsfähiger gegen Rechtspopulisten zu machen.

 

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