Wusstet ihr, dass bundesweit 1,3 Mio. Menschen gerichtlich bestellte Betreuer_innen zur Seite gestellt sind? Insgesamt bekommen ca zwei Mio. Menschen in diesem wohl situierten Land Unterstützung bei ihrer Alltagsbewältigung. Ihnen helfen hunderttausende Ehrenamtliche. Die Zahl psychisch erkrankter und hilfsbedürftiger Menschen nimmt rapide zu, genauso wie die Unzufriedenheit ehrenamtlicher und professioneller Betreuer_innen, denn sie dürfen und müssen immer mehr leisten.
Aus diesem Grund hatte mich der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Oldenburg eingeladen, um Lobbyarbeit in Berlin zu leisten für diejenigen, die keine Lobby haben. Konkret geht es um die prekäre Finanzierung der Arbeit der ehrenamtlichen Betreuungsvereine (durch Länder und Kommunen) und die Höhe der Vergütungssätze für die BerufsbetreuerInnen (hierfür ist der Bund über das Justizressort zuständig), die in 2005 eingeführt worden sind, um die Streitigkeiten um abrechnungsfähige Arbeiten und angemessene Betreuungszeiten zu beenden. Seitdem ist diese pauschale Vergütung nicht angehoben worden, so dass die Arbeit der Betreuer_innen immer geringer entlohnt ist. Ganz zu schweigen davon, dass sie den zu Betreuenden in keinster Weise mehr gerecht werden können. Dreieinhalb Stunden stehen einem Betreuer noch pro Betreutem zur Verfügung – monatlich (!). Alles darüber hinaus wird nicht bezahlt.
Unser Sozialsystem liegt an vielen Stellen im Argen. Das Grundrecht des Einzelnen auf seine Teilhaberechte in einer inklusiven Welt bleibt immer öfter auf der Strecke. Das ist gesellschaftlich – gerade in unserem reichen Land – unwürdig. Der Bund und die Länder stellen sich ihrer Verantwortung in diesem Bereich, der nicht über eine laute Lobby verfügt, zu wenig. Und das bei dem demographischen Wandel, der auf uns zukommt. Die UN-Behindertenrechtskonvention besagt, „dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen“. Die Vertragsstaaten müssen also geeignete Maßnahmen treffen, „um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen“.
Ich halte es für nötig, zunächst die Struktur der Betreuungsvereine finanziell deutlich besser abzusichern und schlage zudem eine geänderte Vergütungssystematik vor, die eine Differenzierung nach Art und Umfang der Betreuung zulässt. Damit Betreuer_innen ihren Aufgaben adäquat nachkommen können, muss sich ihre Vergütung auch nach der Schwierigkeit des jeweiligen „Falles“ bemessen.
Oldenburgs Bürgerschaft ist dabei noch ganz gut aufgestellt, weil der SkF – auch mit Unterstützung der Stadt – seine 200 Ehrenamtlichen weiterbildet, aktuell informiert, Hilfestellung hier und da anbietet, aber wie lange kann er sich das noch leisten, wenn es zunehmend zum Zuschussbetrieb wird?
Ein Gedanke noch dazu, der mit der staatlichen Misere korrespondiert: Wir müssen gesellschaftlich endlich weg davon kommen, dass Ehrenamt so antiquiert zu betrachten. Wir benötigen eine Anerkennungskultur!
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