Zurück zur Stammbelegschaft

Wer die größten Verlierer*innen der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte kennenlernen möchte, der begibt sich in den Süden Oldenburgs und betrachtet die Werksvertragsarbeiter*innen der fleischverarbeitenden Industrie (aber auch in der Bauwirtschaft oder im Schiffsbau). Diese Menschen sind die kostengünstigen Produkte des Neoliberalismus. Nur der Unternehmenswert (Shareholder-Value) zählt. Die Logik dieses Kapitalismus hat die Arbeiterschaft vieler Unternehmen gespalten und unsere Gewerkschaften massiv geschwächt. „Outsourcing“ und immer weiter anziehende Akkordanforderungen ermöglichen gigantische Kostensenkungen zugunsten billigster Fleischangebote in unseren Supermärkten. Unsere „Leistungsgesellschaft“ ist nur noch ein Mythos, denn die Leih- und Werkvertragsarbeiter*innen arbeiten extrem viel und haben dennoch zu wenig zum menschenwürdigen Leben. Viele müssen dann bei der Agentur für Arbeit Anträge ausfüllen, um ihren Lohn mit Wohngeld, Kindergeldzuschlägen oder Hartz IV-Geld aufzustocken. Als Steuerzahler*innen subventionieren wir alle dadurch indirekt die Marktvorteile der Billigstproduzenten.

Über moderne Formen der Sklaverei und der wirtschaftlichen Ausbeutung von in Not geratenen Menschen gab es am Abend in Cloppenburg eine äußerst engagierte Diskussion, bei der sich alle einig waren: Sie geschieht aus reiner Profitgier. Das ist dreist, dreist und nochmals dreist. Und die Politik in Berlin schafft es nicht, durch gesetzgeberische Maßnahmen dem einen Riegel vorzuschieben. Deustchland verkommt immer mehr zu einem Land der Ausbeutung: (v.l.n.r.): Ludger Themann (Netzwerk MidA), Guido Grüner (Also), Detlef Kolbe (SPD), ich und Andreas Wille (AfA).

Über moderne Formen der Sklaverei und der wirtschaftlichen Ausbeutung von in Not geratenen Menschen gab es am Abend in Cloppenburg eine äußerst engagierte Diskussion, bei der sich alle einig waren: Die Ausplünderung geschieht aus reiner Profitgier. Das ist dreist, dreist und nochmals dreist. Und die Politik in Berlin schafft es nicht, durch gesetzgeberische Maßnahmen dem einen Riegel vorzuschieben. Deutschland verkommt immer mehr zu einem Land der Ausbeutung (v.l.n.r.): Ludger Themann (Netzwerk MidA), Guido Grüner (Also), Detlef Kolbe (SPD), ich und Andreas Wille (AfA).

Besonders „gut“ ausbeuten lassen sich dabei aktuell Menschen aus den EU-Ländern Rumänien und Bulgarien, da sie innerhalb der EU keine Probleme mit Arbeitserlaubnissen haben, andererseits in der Heimat oft so wenig verdienen können, dass selbst der hiesige Hungerlohn noch einen Anreiz zur Selbstausbeutung bis weit über die körperliche Leistungsfähigkeit hinaus bietet. Da sie auch sprachlich hier ihren Vorarbeitern praktisch hilflos ausgeliefert sind und z.T. mit massivem Druck eingeschüchtert werden, sich hier nicht zu organisieren oder gewerkschaftlich beraten zu lassen, lassen sie sich Dinge gefallen, die für uns schlicht unvorstellbar sind.

Um die Dimensionen allein in der Fleischindustrie auch nur annähernd zu erahnen, ist es gut zu wissen, dass die Fleischproduktion Deutschlands im ersten Halbjahr 2016 auf 4,1 Mio. Tonnen gestiegen ist. Ein neuer Rekord,  von dem die vier Schlachthofkonzerne Tönnies, Vion, Westfleisch und Danish Crown allein etwas mehr als 60% abdecken. Knapp 30 Mio. Schweine wurden geschlachtet, knapp zwei Mio. Rinder und 350 Mio. Hühner, Puten und Enten. Willkommen im Niedriglohnland Deutschland.

Wer stellt sich diesen Machenschaften, von denen von deutschen und dänischen Unternehmern, Supermarktkunden und Aktionären über ungarische, slowakische oder rumänische Subunternehmer bis hin zu deutschen, türkischen und kurdischen Miethaien so viele profitieren, entgegen? Bei uns in der Region ist das zum einen das Netzwerk für Menschenrechte in der Arbeitswelt (MidA), bei unserem Diskussionsabend im Cloppenburger Hotel Schlömer von Ludger Themann vertreten, dann die Arbeitslosenhilfe Oldenburg (Also) mit Guido Grüner, und auch SPD-Kollege Detlef Kolde setzt sich seit vielen Jahren engagiert für Werksvertragsarbeiter*innen ein. Mit diesen Mitstreitern diskutierten wir in Cloppenburg mögliche Lösungsansätze, aber auch die Frage, warum es trotz einiger politischer Inititiaven und auch dem großen Engagement von Prälat Kossen in der katholischen Kirche Südoldenburgs auch nach Jahren immer noch nicht gelungen ist, diese unmenschlichen Zustände direkt vor unser aller Augen zu beenden.

Lösungsansätze gibt es ja so einige: Den Mindestlohn weiter zu erhöhen und mehr Personal beim Zoll zu schaffen, um effektiver kontrollieren zu können, sind politisch machbare und auch notwendige Maßnahmen. Hinreichend werden sie nicht sein, denn formal sind viele Werkvertragsarbeits- und Mietverträge sogar korrekt. Nicht korrekt aber sind die praktischen Umsetzungen und mündlichen Nebenabreden, die nur dann beendet werden könnten, wenn die Betroffenen sich selber dazu äußern würden. Dazu braucht es gerechtere wirtschaftliche Verhältnisse in Europa, aber auch stärkere Gewerkschaften in den Betrieben und Betriebsräte, die sich solidarisch für die Rechte der prekär beschäftigten Kolleg*innen einsetzen, und einen weiteren Ausbau der mobilen Beratung für die Entrechteten. Auch unsere Kommunen können z.B. durch feuerpolizeiliche Kontrollen der Unterkünfte, in denen die Arbeiter*innen teilweise unter unwürdigsten Bedingungen hausen, einen Beitrag für mehr Menschlichkeit leisten. Und ein kleiner Schritt wäre auch getan, wenn zumindest alle Landkreise in der Umgebung wenigstens die Mindeststandards für die Unterkünfte übernehmen würden, die sich der Landkreis Vechta gesetzt hat, damit es sich für die Ausbeuter nicht mehr lohnt, die Arbeitskräfte hinter der Kreisgrenze in noch billigeren Behausungen unterzubringen.

Letztlich aber geht kein Weg daran vorbei, wieder zu einer Rückkehr aller Beschäftigten in die Stammbelegschaften der Unternehmen zu kommen (wie es zumindest ein Schlachtbetrieb aus Bösel für 2017 versprochen hat) und kein Fleisch mehr zu kaufen, bei dem uns der Preis schon deutlich anzeigt, dass es nur durch Ausbeutung von Mensch und Tier erzeugt werden konnte!

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