Bis zu einer Million Meeresvögel und bis zu hunderttausend Meeressäuger sterben schätzungsweise jedes Jahr an den Folgen der Vermüllung unserer Meere. Wir GRÜNE sind der Auffassung, dass eine Lösung dieses Problems dringend notwendig ist und haben uns die Frage gestellt, ob und in wie weit Biokunststoffe einen Beitrag dazu leisten können. Aus diesem Grund haben wir am 22. Mai 2015 zu einem Fachgespräch mit dem Titel „Biokunstoffe: Lösung eines Umweltproblems?“ eingeladen. Zentral wurden die Fragen behandelt, welche aktuellen technischen Entwicklungen es bei den biobasierten Kunststoffen gibt, wie es mit der Abbaubarkeit in der Natur aussieht, welche Ökobilanzen Biokunststoffe vorzuweisen haben und welchen Beitrag die Politik möglicherweise leisten kann, um Fortschritte zu erzielen.
In seinem Grußwort wies Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN im Bundestag, darauf hin, dass ein vermehrter Einsatz von Biokunststoffen nicht dazu einladen solle, sich dieser einfach in der Umwelt zu entledigen. Wenn Kunststoffe jedoch weiterhin in unseren Meeren und Wäldern landen, wäre es wünschenswert, wenn diese wenigstens verrotten würden. Peter Meiwald, Sprecher für Umweltpolitik der GRÜNEN Bundestagsfraktion und Moderator der Veranstaltung, nahm den Ball auf und betonte zunächst die Notwendigkeit einer Begriffsklärung für die folgende Debatte.
Im ersten Vortrag erläuterte Michael Carus, Gründer und Geschäftsführer des nova-Instituts, die Potenziale und möglichen technischen Anwendungsgebiete von biobasierten Kunststoffen sowie potentielle Beiträge biologisch abbaubarer Kunststoffe im Kampf gegen das Littering. Dabei fügte er an, dass die größte bekannte Quelle von Mikroplastik in den Meeren wohl der Abrieb von Autoreifen sei. Hier stände die Forschung nach biologisch abbaubaren Alternativen zu den bisher genutzen Materialmischungen noch sehr am Anfang. Als Vorteile der Biokunststoffe gegenüber petrochemischen Kunststoffen nannte er u.a. eine um ca. 30 % bessere Klimabilanz und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in der der Produktion vorgelagerten Agrar- und Forstwirtschaft. Dabei seien natürlich nicht alle biobasierten Kunststoffe auch biologisch abbaubar, schon gar nicht unter allen Umweltbedingungen in gleicher Weise. Doch insbesondere in Anwendungsbereichen, wo die Kunststoffe mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Nutzung in die Umwelt gelängen, gäbe es bereits serienreife Biokunststoffe. Unproblematisch könnten z.B. bereits heute Produkte wie z.B. Mulchfolie, Pflanzenklipps oder Aufkleber auf Obst substituiert werden, doch bräuchte es zur Durchsetzung am Markt möglicherweise das Ordnungsrecht, um traditionelle Plastiklösungen zu verbannen. Doch auch für viele andere Nutzungen gibt es heute bereits die Technologien, Biokunststoffe zu konzipieren, die sich in verschiedenen Umgebungen, auch im Wasser unserer Ozeane zu Kohlendioxid und Wasser abbauen.
Im zweiten Vortrag informierte Peter Brunk als Geschäftsführer über die Arbeit von BIOTEC. Das Unternehmen produziert biologisch abbaubare Werkstoffe auf der Basis von Kartoffelstärke als nachwachsendem Rohstoff. Die Tendenz geht bei den Werkstoffen dahin, dass der Anteil der Biomasse an den Produkten immer weiter steigt. Als problematisch insbesondere in Deutschland stellte er heraus, dass z.B. die Nutzung von biobasierten Komposttüten, die sich technisch in Kompostanlagen innerhalb weniger Wochen oder Monate auflösen würden, noch von sehr viel Skepsis auch bei den Anlagenbetreibern begleitet würde.
Im letzten Vortrag stellte Indra Enterlein, Umweltreferentin des Naturschutzbund Deutschland, die Sichtweise des NABU dar. Sie wies u.a. darauf hin, dass Müllbeutel aus abbaubaren Biokunststoff häufig als Störstoff in Biotonnen wahrgenommen und aussortiert werden. Hier muss die Politik für praktikable und durchsetzbare Regelungen sorgen. Letztlich bedarf es, nach Frau Enterlein, einer sinnvollen Gesamtstrategie in Bezug auf Kunststoffe, welche klare Vermeidungs- und Verwertungsziele formuliert sowie für eine Schadstoffentfrachtung bei Kunststoffen sorgt und zudem einen Markt für umweltfreundliche Kunststoffe schafft, die jeweils mit ihren spezifischen Eigenschaften dort eingesetzt werden, wo es ökologisch sinnvoll ist.
Nach einer regen Diskussion wurde am Ende zusammenfassend festgestellt, dass auch bei Kunststoffen im Sinne einer wirksamen Produktverantwortung darüber nachgedacht werden muss, sich über die Konzeption recyclingfähiger und ressourcenschonender Produkte von einer End-of-pipe-Lösung zu distanzieren. Zudem wurde festgehalten, dass Kunststoffe möglichst so rein sein müssten, dass über eine Kennzeichnung transparent gemacht wird, wie mit dem Produkt nach der Nutzungsphase konkret zu verfahren ist. Auch war Konsens, dass bezüglich der Kunststoffabriebproblematik bei Autoreifen mehr Forschung betrieben werden müsse, um den momentan eklatanten Eintrag in unsere Gewässer zu reduzieren. Parallel dürfe aber der Kampf gegen die bewusste Freisetzung von Mikroplastik durch den Zusatz in Kosmetika oder für die Reduzierung des verschwenderischen Umgangs mit Plastiktüten nicht vernachlässigt werden. Dazu gab es in der Runde breite Zustimmung dafür, dass es ordnungsrechtlicher Regelungen bedarf, um Biokunststoffen dort am Markt zur Durchsetzung zu verhelfen, wo es aus umweltpolitischer Sicht sinnvoll ist. Der Vermeidung solle als der ersten Stufe der Abfallhierarchie zudem in der Praxis ein stärkerer Vorrang eingeräumt werden. Die Teilnehmer waren sich nahezu einig, dass die Forschung und Entwicklung mittlerweile so weit vorangetrieben wurde, dass man sich ab jetzt auf eine erfolgreiche und sinnvolle Markteinführung einzelner Produkte konzentrieren müsse.
Wir sagen noch einmal herzlichen Dank an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine spannende Veranstaltung und eine angeregte Diskussion, die wir GRÜNE nun im weiteren politischen Prozess berücksichtigen werden.
Hier finden Sie die Präsentationen unserer Gäste in der Reihenfolge des Veranstaltungsablaufs
Michael Carus (Nova-Institut):
15-05-22 Bio-basierte Kunststoffe als Chance zur Vermeidung von Mikropartikeln Kopie
Peter Brunk (BIOTECH GmbH):
150522_Fachgespräch Biokunststoffe_Brunk
Indra Enterlein (NABU):
150522 FINALVortrag Enterlein-Fachgespräch Biokunststoffe
Hallo zusammen,
Danke nochmal für das sehr gute Fachgespräch. Ich war ja Teilnehmer. Was wird unter einer End-of-pipe-Lösung verstanden?
Danke und schöne Grüße
Stefan
Moin,
Danke für die ermutigende Rückmeldung und sorry für die etwas späte Antwort!
„End-of-pipe“ meint in dem Zusammenhang, dass viele Diskussionen sich bisher darum drehen, wie verhindert werden kann, dass z.B. Plastikmüll ins Wasser und damit zur Umweltbelastung gerät. Wichtig wäre es stattdessen, schon beim Produkt- und Verpackungsdesign darauf zu achten, dass möglichst wenig umweltschädliche und ressourcenverschwendende Materialien verwendet werden. Umso unproblematischer wird am Ende des Lebenszyklus des Produktes ein hochwertiges Recycling.
Herzliche Grüße
Peter Meiwald